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27.08.2012

Tunnelblick und selektive Wahrnehmung

Nutzer sehen nicht alles, was auf dem Bildschirm ist. Wegen ihrer selektiven Aufmerksamkeit übersehen die Leute Dinge, die ausserhalb des Fokus ihres Interessens liegen.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 27.08.2012

 

Wie können die Leute etwas übersehen, das doch gleich da auf dem Bildschirm ist? Wenn Sie jemals eine Usability-Studie beobachtet haben, hatten Sie wahrscheinlich viele Gelegenheiten, sich diese Frage zu stellen.

Die Nutzer sehen sich nicht viel um. Oft starren sie sehr konzentriert auf den Teil des Bildschirms, mit dem sie sich gerade beschäftigen, oder von dem sie annehmen, dass er ihr Problem beantworten wird.

Ein gutes Beispiel für diesen Tunnelblick der Nutzer haben wir Anfang des Monats in Australien gesehen, als wir in Sydney Besucher auf der Firmen-Website von Westfield getestet haben, einem Entwickler für Einzelhandels-Immobilien. Eine Nutzerin wollte herausfinden, wann Westfield auf den britischen Markt gekommen ist, und schritt sorgfältig die Zeitachse in der Sektion Unternehmenshistorie ab.

Westfield beachtet auf vernünftige Weise die Richtlinien für die Präsentation des Unternehmens-Images im Über-uns-Bereich einer Website und die Nutzerin hatte wenig Probleme, die relevante Information zu finden. Jedes Ereignis der Firmengeschichte wurde in einem Pop-up-Fenster im Lightbox-Stil gezeigt. Das war zwar vielleicht ein übermässig aggressives Designmittel für diesen Zweck, aber es funktionierte jedenfalls. Die Nutzerin navigierte leicht auf der Zeitachse, indem sie die verschiedenen Schalter angeklickt hat (die ich nicht zeige, weil sie nichts mit dem Thema des Artikels zu tun haben).

Pop-up-Fenster von Westfield
Zeitachsen-Eintrag, wie getestet: Der starke Tunnelblick hinderte die Nutzerin daran, die Jahreszahl am oberen Rand des Pop-up-Fensters zu bemerken.

Jeder Eintrag war nett gestaltet, mit der Jahreszahl, einem attraktiven Foto, einer vernünftigen, gut geschriebenen Headline und einer kurzen Zusammenfassung der grösseren Ereignisse des jeweiligen Jahres.

(Um etwas kleinlich zu sein: Sie sollten auf der eigenen Website eines Unternehmens keine Headline mit dem Namen des Unternehmens beginnen lassen. Da sich auf einer Unternehmens-Website vermutlich die meisten Geschichten mit dem Unternehmen befassen, ist es besser, die entscheidenden ersten beiden Wörter für Schlüsselwörter zu reservieren, die mehr Informationen enthalten.)

Die Antwort auf das Problem der Nutzerin - das Jahr, in dem Westfield nach Grossbritannien ging - scheint in diesem Design recht prominent zu sein: Die Zahl 2000 steht oben links in der Box und hat eine grössere Schriftgrösse als der übrige Text.

Und was passierte? Das Design funktionierte nicht. Die Nutzerin las den gesamten Textblock, bis sie in der letzten Zeile auf die Jahreszahl stiess. Die Jahreszahl oben links hat sie nicht gesehen. Tunnelblick, wie gesagt.

Platzieren Sie verwandte Dinge nahe beieinander

Die Lösung für Usability-Probleme mit dem Tunnelblick besteht darin, verwandte Dinge nahe beieinander zu platzieren. Hier auf die Schnelle ein Beispiel, wie man es in unserem Fall hätte machen können:

Alternatives Pop-up-Fenster von Westfield von Westfield
Ein alternatives Design (nicht getestet) platziert die wichtigsten Informationen innerhalb des wahrscheinlichen Blickfelds der Nutzer.

Das Design ist auch besser für die Barrierefreiheit. Sehbehinderte Nutzer, die eine Bildschirmlupe verwenden, um kleine Bereiche des Bildschirms zu vergrössern, können die Informationen mit grösserer Wahrscheinlichkeit verstehen, wenn sich alles am gleichen Platz befindet.

Selektive Aufmerksamkeit

Das Beispiel mit dem Tunnelblick aus der letzten Studie ist nur eines von tausenden, die wir in den letzten Jahren beobachtet haben. Alleine in der Kategorie Banner-Blindheit haben wir zahllose weitere Beispiele registriert.

Selektive Aufmerksamkeit und Wahrnehmung ist in der Tat ein Überlebensinstinkt; wenn die Leute sämtliche Stimuli in ihrer Umwelt beachten würden, würden sie nie etwas fertig bekommen. Sie würden auch mit grösserer Wahrscheinlichkeit etwas Wichtiges übersehen, wie zum Beispiel das Raubtier mit den grossen Zähnen, das ihnen gerade auflauert.

Es ist einfach nur menschlich, sich auf wenige Dinge zu konzentrieren und alles Übrige zu ignorieren.

Webdesigner haben dieses Problem nicht. Sie wissen, welche Informationen wichtig sind - in unserem Beispiel die Jahreszahl - und fokussieren darauf, wenn sie ein Layout analysieren.

Das ist der Grund, weshalb Sie mit wirklichen Nutzern testen sollten.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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