Horizontale Aufmerksamkeit ist absolut linkslastig
Die Web-Nutzer verbringen 69% ihrer Zeit damit, sich die linke Hälfte einer Seite anzusehen, und 30% widmen sie der rechten Hälfte. Ein konventionelles Layout macht Websites also wahrscheinlich wesentlich eher profitabel.
by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 06.04.2010
In meiner letzten Kolumne ging es um die Verteilung der Nutzeraufmerksamkeit entlang der Vertikalen auf Webseiten. Kurz gesagt, die Leute betrachten Informationen oberhalb der Bildschirmkante wesentlich häufiger als solche, die weiter unten auf der Seite zu finden sind.
Hier werden wir jetzt eine 90-Grad-Wendung vornehmen und uns die Blickgewohnheiten der Nutzer entlang der Horizontalen anschauen. Anhand des gleichen Datenmaterials wie bei meiner letzten Untersuchung sehen wir jetzt die folgende Verteilung der Nutzeraufmerksamkeit von der linken Bildschirmkante zur rechten:
In dieser Grafik zeigt jeder Balken die Zeit an, die die Nutzer Fixierungen innerhalb eines 100-Pixel-Streifens widmeten, der von ganz links kommend entlang des Bildschirms verlief.
Die Leute schauten mehr als doppelt so lange auf die linke Hälfte der Webseite als auf die rechte:
- Linke Hälfte des Bildschirms: 69% der Blickdauer
- Rechte Hälfte des Bildschirms: 30% der Blickdauer
Die verbleibenden 1% der Blickdauer widmeten sie dem Bereich rechts der zunächst sichtbaren 1.024 Pixel. Was dort steht, wird erst nach horizontalem Scrollen sichtbar, und die winzige Menge an Aufmerksamkeit, die es auf sich zieht, bekräftigt die Richtlinie, horizontales Scrollen zu vermeiden (Fehler Nr. 3 von 2002).
Informationen rechts von dem zuallererst sichtbaren Bereich stehen gewissermassen "unterhalb der Kante" (nicht wörtlich). Wenn man vertikales mit horizontalem Scrollen vergleicht, kann man sagen, dass die Nutzer in der Vertikalen 20% ihrer Aufmerksamkeit dem Bereich unterhalb der Kante widmen, aber in der Horizontalen nur 1% dem, was jenseits der Kante liegt. (Ich würde horizontales Scrollen sogar als mindestens zwanzigmal so schlimm wie vertikales einordnen, weil es nicht nur weniger Aufmerksamkeit erreicht, sondern die Nutzer verärgert.)
In unserer Studie wurde ein 1.024 x 768 Monitor verwendet. Bei einem grösseren Monitor müssten wir vielleicht davon ausgehen, dass sich die Blickmuster etwas nach rechts verschieben, einfach deshalb, weil es einen grösseren, sichtbaren Bereich gäbe. Nichtsdestotrotz bliebe das Muster an sich das gleiche.
Der Bereich ganz links auf einer Seite enthält normalerweise eine Navigationsleiste, so dass es wenig überrascht, dass die Aufmerksamkeit jenseits der 200-Pixel-Marke ansteigt und die grösste Aufmerksamkeit im Bereich zwischen 300 und 500 Pixel liegt. Wie wir aus unseren Eyetracking-Studien zum "F-Muster beim Lesen von Web-Inhalten" wissen, neigen die Leute dazu, sich auf die Zeilenanfänge im Inhaltsbereich einer Seite zu konzentrieren.
Denken Sie daran: Es ist sehr gut, wenn die Nutzer nicht zu oft auf die Navigation schauen; es ist doch viel besser, wenn sie ihre Zeit mit Ihren Inhalten verbringen und sich der Navigation nur widmen, wenn sie weitergehen wollen.
Sprachen, in denen von rechts nach links gelesen wird
Unsere Usability-Studien in Ländern, in denen von rechts nach links gelesen wird, ergaben das gleiche allgemeine Muster einer gesteigerten Aufmerksamkeit für den Anfang einer Zeile. Hier liegen die Zeilenanfänge offensichtlich an der rechten Seite der Texte. Dennoch würden wir nicht unbedingt ein Spiegelbild der obigen Grafik finden, wenn man die Eyetracking-Studien zum Beispiel mit arabischen oder hebräischen Websites durchführt.
Das ist deshalb so, weil Websites in von rechts nach links schreibenden Sprachen nicht immer ein Spiegelbild des traditionellen, von links nach rechts laufenden Layouts verwenden. Betrachten Sie zum Beispiel die folgenden Screenshots von Dubais Zeitung Emarat Al Youm und der israelischen Zeitung Haaretz:
Emarat Al Youm ist eine wirklich rechtsbündige Website. Im Gegensatz dazu benutzt Haaretz zwar rechtsbündigen Text, hat aber dennoch links eine Navigationsleiste. Demnach dürften die Ergebnisse einer Eyetracking-Studie für Haaretz komplexer sein als einfach das umgedrehte Muster von englischsprachigen Websites. (Da wir während unserer israelischen Usability-Studien kein Eyetracking eingesetzt haben, wissen wir das jedoch nicht genau.)
Konventionelles Layout als klarer Sieger
Wenn wir uns wieder den Websites in den vielen Sprachen widem, die von links nach rechts schreiben - wie zum Beispiel Englisch, Deutsch, Französisch, Russisch und das heutige Japanisch -, was bedeuten unsere Ergebnisse?
Einfach gesagt: Halten Sie sich an das konventionelle Layout, denn es geht perfekt darauf ein, wie die Leute sich Webseiten ansehen:
- Setzen Sie die Navigation ganz nach links. Hierhin schauen die Leute, um eine Liste der aktuellen Optionen zu finden.
- Platzieren Sie Ihre zentralen Inhalte von links aus gesehen etwas mehr zur Mitte.
- Die wichtigsten Dinge sollten in einem Streifen zwischen Drittelseite und Seitenmitte präsentiert werden. Das ist der Bereich, auf den die Nutzer ihre meiste Aufmerksamkeit richten.
- Setzen Sie sekundäre Inhalte weiter nach rechts. Dort werden sie zwar nicht ganz so gut gesehen, aber das ist OK - nicht alles kann im Rampenlicht stehen, und Sie brauchen einfach einen Platz, an den Sie weniger wichtige Materialien setzen können.
Interessanterweise ähnelt diese Art des Website-Layouts, die das Ganze im Blick behält, dem üblichen Layout für Intranet-Homepages. Ein weiteres Anzeichen dafür, dass es funktioniert.
Das vorherrschende Muster für Layouts und das vorherrschende Blickmuster haben sich offensichtlich in gegenseitiger Abhängigkeit entwickelt:
- Die Leute sind darauf trainiert worden, auf bestimmte Stellen zu achten, weil sich eben dort für gewöhnlich die wichtigsten Informationen befinden.
- Die Firmen entwerfen Website-Layouts so, dass sie die Informationen dort präsentieren, wo die Leute gewohnheitsmässig aufmerksam hinschausen. (Zumindest wenn sie Artikel wie diesen hier lesen :-)
Wenn Sie vom konventionellen Layout abweichen, werden manche Nutzer wahrscheinlich ihr Blickverhalten ändern, wenn sie ihre Website besuchen. Wenn Sie wichtige Dinge an den rechten Seitenrand setzen, dann werden diese (wenigen) Nutzer, die zufällig diese Informationen bemerken, mehr Zeit und Fixierungen diesem Bereich widmen, als dies normalerweise der Fall wäre.
Es ist ja nicht so, als ob die Nutzer im Voraus entscheiden "Ich werde nur 2,5% meiner Zeit damit verbringen, mir Informationen anzuschauen, die sich 1.000 bis 1.100 Pixel von links befinden."
Wie dem auch sei, wenn Sie vom konventionellen Layout abweichen, geschieht dies völlig auf Ihre Gefahr hin: Wenn die Nutzer zunächst auf Ihrer Seite landen, werden sie eine geraume Zeit damit verbringen, dort nach etwas zu suchen, wo sie am ehesten erwarten, es finden zu können. Die Nutzer werden demnach eher erfolgreich sein, wenn Sie diesen Erwartungen entsprechen, anstatt Informationen an ungewöhnlichen Stellen zu platzieren, wo die Nutzer vielleicht gar nicht hingucken.
Und wenn Ihre Kunden erfolgreicher im Umgang mit Ihrer Website sind, sind Sie erfolgreicher darin, Ihre Geschäftsziele zu erreichen. Sich an Web-Usability-Konventionen zu halten bedeutet letztlich, mehr Geld zu verdienen.
© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.
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