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09.08.2014

User-Experience (UX) ohne Nutzerforschung ist keine UX

UX Teams sind für die Schaffung wünschenswerter Erfahrungen verantwortlich. Trotzdem verzichten viele Firmen darauf, Nutzer in den Entwicklungsprozess mit einzubeziehen. Ohne Kundeninput riskieren Firmen, Interfaces zu erstellen, die scheitern.

© goodluz - Fotolia.com

 

by Hoa Loranger (deutsche Übersetzung) - 10.08.2014

 

Der Erfolg einer Website (oder eines Produkts) hängt davon ab, wie die Nutzer (oder Kunden) diese wahrnehmen. Nutzer beurteilen den Nutzen und die Einfachheit der Nutzung einer Website während sie mit ihr interagieren. Sie bilden sich dabei ihr Urteil innerhalb von Sekunden - manchmal auch Millisekunden.

Nutzer beurteilen eine Website in dem sie sich mit Fragen beschäftigen wie z. B: "Beinhaltet die Seite etwas, das für mich von Wert ist?", "Ist diese Website einfach zu bedienen", oder "Fühle ich mich wohl mit der Erfahrung, die ich hier mache?". Eine gute UX lässt die Nutzer auf alle diese Fragen mit "ja" antworten.

Was ist User Experience?

User Experience (UX) ist ein bekannter Begriff in der Designcommunity und trotzdem ist die Definition etwas trügerisch. Sogar unter UX Experten. Die Gründer der Nielsen Norman Group, Don Norman und Jakob Nielsen haben bei der Gründung der Firma 1998 UX als folgendes definiert:

Das wichtigste Merkmal einer tadellosen User Experience ist das exakte Erfüllen aller Kundenanforderungen, und zwar ohne viel Aufhebens und Störungen. Als nächstes steht die Einfachheit und Eleganz eines Produkts dessen Besitz und Gebrauch eine Freude ist. (Siehe hier die vollständige Definition von UX (engl.))

Mit anderen Worten: UX Teams und Praxisleute sollten Produkt-Entwicklungen anstreben, die von den Nutzern gewünscht und gebraucht werden. Diese müssen dann so gestaltet werden, dass sie einfach zu bedienen sind und während der Nutzung auch Freude machen. User Experience steht für alles, was die Nutzer bei deren Interaktion mit dem Produkt fühlen, denken und tun.

Natürlich wollen alle eine beispielhafte User Experience anbieten. In der Praxis jedoch verstehen viele Firmen nicht wirklich was es dazu braucht. Obwohl das Thema User Experience mittlerweile populär geworden ist, existieren in vielen Firmen immer noch zahlreiche schlechte Methoden für dessen Design.

UX liegt in jedermanns Verantwortung

Eine Abteilung oder einen Titel mit UX zu haben heisst noch lange nicht das man auch wirklich UX praktiziert. Um eine herausragende UX zu erreichen muss die Koordination in von vielen Dingen erreicht werden. So wie z.B. Produktmanagement, Entwicklung, Marketing, Inhalte, Kundenservice, Grafik- und Interaktionsdesign. Mit anderen Worten, Jeder sollte sich für den Nutzer verantwortlich fühlen. Man sollte dem Nutzer und seinen Bedürfnissen während jedem einzelnen Schritt des Produktlebenszyklus Rechnung tragen indem man ihn ins Zentrum der Designarbeiten stellt.

Ein gutes Zusammenspiel, viel Disziplin und ein eine gute Projektgruppe sind dabei Voraussetzung für eine wirklich effektive UX und ein florierendes Business. Damit ein Produkt wirklich erfolgreich ist, muss das nutzerzentrierte Design die Geschäftsziele ergänzen (wenn nicht sogar steuern).

Business- und Nutzerziele unter einen Hut bringen

Geschäftlichen Prioritäten mangelt es oft am Wissen was Nutzer wirklich brauchen. Entscheidungen werden oftmals auf der Basis getroffen "was wir denken, dass toll ist" anstatt auf der Basis "was eigentlich wirklich toll ist". UX hat strategische Aspekte, die das Verständnis von Business, Nutzern und Anwendungskontext voraussetzt.

Worüber die meisten UX Profis klagen, ist die mangelnde Unterstützung durch die eigene Organisation - Unterstützung für UX relevante Aktivitäten sowie Nutzerforschung. Das Problem wird zudem durch Produkt-Entwicklungs-Frameworks wie Agile verstärkt, die auf schnelle Releases drängen. Noch schlimmer: Agile Entwicklungsmethoden wie zum Beispiel Scrum beinhalten typischerweise in ihren Kernrollen keine UX Designer. Dies lässt viele Firmen annehmen, UX sei nicht essentiell. Das ist ein tragischer Fehler.

Meine letzten Interviews mit Agile Teammitgliedern haben gezeigt, dass die meisten Teams keine Nutzerforschung keine Nutzerforschung durchführen, um ihre Konzepte oder Designs validieren zu lassen. Die besagten Teams machten Zeitdruck und mangelnde UX Ressourcen für diesen schlechten Trend verantwortlich. Mangelnde Nutzerforschung kann aber bei jedem Entwicklungsmodell auftreten, wie zum Beispiel auch beim Wasserfallmodell. Die Firmen und Organisationen liefern in der Folge Produkte aus, ohne deren Wert für den Kunden wirklich zu kennen. Es spielt keine Rolle wie viele Produkte wir veröffentlichen. Wenn sie Schrott sind, liefern wir einfach mehr davon.

Ein UX Lippenbekenntnis ablegen

Jedes Projekt bedeutet auch Druck. Wir alle mussten schon Abkürzungen nehmen und uns auf unsere Intuition verlassen. Trotzdem sollte dem Nutzerfokussierten Prozess ein ausreichendes Zeitfenster zur Verfügung gestellt werden. Denn dieser hilft uns dabei, die Firmenziele zu erreichen.

Eigentlich sollten wir Entscheidungen über Design- und Businessstrategien anhand von echten Nutzerdaten treffen, und nicht nach unseren eigenen Erfahrungen und Vorlieben. Durch das Anwenden von nutzerfokussierten Praktiken, können Designer und Forscher den "Sweet Spot" finden, welcher die Überlappung der Kunden- und Firmenbedürfnissen bezeichnet.

Man sollte den UX Designern und Nutzerforschern auf jeden Fall ermöglichen, die geschäftlichen Prioritäten zu beeinflussen damit ein Produkt nicht in diese "Wir liefern jetzt einfach mal aus"-Falle landet. Man sollte auch die Organisation so strukturieren und kultivieren, dass jedermann - auch der Vorstand - sich mit dem Ziel "Das Befriedigen von Kundenbedürfnissen" verbunden fühlt und dieses auch als Geschäftspriorität erkennen.

Es gibt viele Wege, Usability zu missionieren. Einer davon ist Studienteilnehmer diesen Job für Sie erledigen zu lassen. Finden Sie einen Weg, Neinsager zur Beobachtung während einer Studie einzuladen. Wenn man erst mal mit eigenen Augen gesehen hat, wie schmerzhaft die UX für Kunden sein kann, wird es schwierig Best Practices in Frage zu stellen oder einfach weiterhin blind Designs zu erstellen.

Die richtige Studie korrekt ausführen

Manchmal wird eine Studie mit der richtigen Absicht, jedoch mit der falschen Methodik angegangen. Es kommt auch vor, dass die Ausführung suboptimal ist. Viel zu oft erhält die Nielsen Norman Group panische Anrufe von Firmen und Geschäften, die uns darum bitten heraus zu finden weshalb ihre Website dermassen floppt. Wenn wir dann nachfragen ob vor dem Launch Usability-Test durchgeführt wurden ist die Antwort oft "Ja!". Warum ist dann trotzdem ein Redesign notwendig? Hauptgrund ist meist die Anwendung falscher Methoden während den durchgeführten Usability-Tests.

Häufige Fehler in der Methodik:

Man befragt die falschen Personen: Projektbeteiligte und Kollegen sind keine realen Nutzer. Sie repräsentieren Ihre Zielgruppe nicht. Involvieren Sie lieber echte Nutzer in Ihren Designprozess anstatt ihre internen Kollegen daran teilnehmen zu lassen. Diese sind nämlich oftmals zu eng mit dem Design vertraut um ehrliche und präzise Daten zu liefern.

Die teilnehmende Person beeinflussen: Immer wieder kommt es vor, dass unerfahrene Moderatoren die Studie und durch ihre gestellten Fragen den Teilnehmer beeinflussen. Das führt dazu, dass fehlerhafte Rückschlüsse gezogen werden. Die Usability-Tests bringen viel mehr wertvolle Informationen, wenn sie von Personen durchgeführt werden, die Verhaltensforschung verstehen.

Das Anwenden von ungeeigneten Testmethoden: Nutzertests können für jeden etwas anderes heissen: Es kann sich um Umfragen, Fokusgruppen (engl.), A/B Tests, Usability Testing usw. handeln. Die wirklich passende Methode hängt immer von der gesuchten Antwort und dem Entwicklungsstadium des Produkts ab. Eine Umfrage ist z.B. immer dann passend, wenn man nach meinungsbasierten Daten sucht. Wird nicht der passende Test durchgeführt, verursacht man damit irreführende Resultate.

Wenn Sie Studien durchführen, dann stellen Sie sicher dass Sie wissen wie und wann welche Methodik wirklich wertvolle Resultate bringt die nicht beeinflusst sind.

Der zusätzliche Vorteil von Nutzertests: Teambildung

Wahrscheinlich wissen Sie schon welches der Hauptvorteil einer Nutzerstudie ist; Das erhalten von Nutzerdaten die Ihr Design und Produkt beurteilen. Es gibt aber einen weiteren sehr starken Randeffekt: Es entwickelt Einstimmigkeit.

Viele Kunden fragen mich, ob ich Ihnen eine Expertenmeinung (engl.) über ihre Designs oder Konzepte abgeben kann. Ich mache das wirklich gerne, jedoch empfehle ich diesen oft, einen Nutzertest durchzuführen um die Lösung der internen Meinungsverschiedenheiten zu klären und den Entwicklungsprozess zu beschleunigen. Es ist meist besser verschieden Theorien zu testen anstatt an den internen Debatten teilzunehmen.

Das Unterstützen von Design und Nutzerfreundlichkeit ist nur ein Teil des Jobs eines UX Designers oder UX Forschers. Der andere Teil ist den Teams dabei zu helfen, sich produktiv und nach vorne zu bewegen. Der beste Weg dies zu tun ist mit Hilfe von Daten anstelle einer persönlichen Meinung. Es ist einfach, Designlösungen zu ignorieren die auf Vermutung basieren. Sehr schwierig hingegen wird das, wenn die verschiedenen Lösungen mit Beweismaterial hinterlegt sind.

Wenn bei einem Meeting nur Annahmen besprochen werden, ist es manchmal das Beste wenn man das Meeting mit den Worten: "Lass es uns testen." verlässt.

Folgen Sie dann diesem Statement und führen sie einen einfachen Nutzertest durch. Nicht nur wird die Annahme schnell bestätigt oder dementiert, sondern Sie können auch den Wert von Nutzertests klar aufzeigen.

Vor kurzem gab es zum Beispiel in Bezug auf Universitätswebsites eine riesen Debatte unter den Designern, ob die Site nun gut oder schlecht ist. Anstatt an dieser Debatte teilzunehmen, hat einer unserer UX Spezialisten sich die Zeit genommen, diese Seite einen Tag lang gewissen Tests zu unterziehen und so ganz einfach herauszufinden welche Antwort denn nun richtig ist (Die Seite ist schlecht).

Entwerfen und Testen (und dann wenn nötig wiederholen)

Iteratives Design ist nicht neu (beachten Sie unseren Artikel von 1993 (engl.)). Und die Lean Startup-Bewegung, die das Experimentieren und Testen von Designvisionen unterstützt, hat dazu beigetragen, das Bewusstsein weiter zu erhöhen. Das Lean-Mantra „Entwerfe, Bilde, Auf den Markt bringen, Messen“ ist trotzdem etwas irreführend. Es vermittelt den Eindruck dass ein Produkt zuerst programmiert und live geschalten werden muss, um es von Nutzern testen zu lassen. Diese Annahme ist aber falsch.

Seit vielen Jahren helfen wir unseren Kunden dabei, ihre Entwicklungszeiten zu beschleunigen, indem wir Entwürfe und Mockups testen, noch bevor überhaupt eine Zeile des Codes geschrieben ist. Man sollte keine Ressourcen verschwenden, etwas zum Laufen zu bringen, nur um danach festzustellen, dass die Nutzer es nicht wollen, oder dass es nicht funktioniert. Überdenken Sie die Fragen, welche sie zu Ihrem Konzept haben zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung und erstellen sie ein einfaches Artefakt um Ihre Annahmen zu testen. Übung macht den Meister: Rechnen Sie nicht damit, dass von Anfang an alles optimal ist.

Fazit

UX ohne Nutzer existiert nicht. Das Erstellen eines Nutzerinterfaces beinhaltet komplizierte und komplexe Entscheidungen. Ein Nutzerforschungs-Tool kann dabei sehr einfach helfen, die Ziele schnell zu erreichen.

Auch das am besten durchdachte Design beruht nur auf einer Annahme solange es nicht von realen Nutzern getestet wurde. Die unterschiedlichen Tests beantworten dabei unterschiedliche Fragen. Kennen Sie die verschieden Tools und Methoden und lernen Sie wie diese richtig angewendet werden. Den Nutzer auszulassen ist dabei absolut keine Option.

Das Fokussieren auf UX kann den Unterschied zwischen Ihnen und Ihrer Konkurrenz bedeuten. Lernen Sie wie an unserem Kurs: UX Basic-Training (engl.).

 

© Deutsche Version. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

Kommentare auf diesen Beitrag

  • Gunter

    18-08-14 07:28

    Es ist interessant, wie seit 20 Jahren immer wieder die Diskussionen um die Einbeziehung des "End-Nutzers" aufflammen. Es wird immer nach der Endlösung gesucht, sehr fatal, war es schon immer....

    Meine erste These: Jeder Beteiligter an der Wertschöpfungskette eines SW-Herstellers ist bereits ein Nutzer.

    Meine zweite These: Die Summe aller Nutzungskontexte in einer Wertschöpfungskette bieten ausreichende Möglichkeiten, die Usabaility einer GUI signifikant zu erhöhen.

    Motivation: Wir alle wollen mit diesem sehr interessanten Thema UX Geld verdienen. Aus diesem Grund muss eine GUI bereits für den Qualitätssicherer, den Produktmanager, den Vertriebler, den Aufsichtsrat, den Kunden... eine hohe Gebrauchstauglichkeit aufweisen.

    Das sind alles Menschen, die das Produkt bzw. die GUI in verschieden Situation benutzen! Somit lassen sich alle Methoden des UX immer wieder neu und sinnvoll anwenden, und auch neue Formen lassen sich entdecken! Stichwort Beamer-Test.

    Lbnl wird eine GUI sehr sicher eine gute sein, wenn sie in allen Kontexten der Wertschöpfungskette bestanden hat.
  • Claudio

    20-08-14 06:32

    Das hat was, seit 20 jahren. Generell sehe ich diesen Effekt bei der Erhebung von Requirements (in welcher Form auch immer). Allen ist bewusst, wer sich nicht drum kümmert herauszufinden was die Kunden genau wollen, steckt am Ende mehr Geld hinein. Aber trotzdem wirds gemacht, immer wieder. Das Learnability Gen scheint nicht zu funktionieren.

    Zu Gunters erster These, vor allem die Tester werden nicht als Nutzer angeschaut, bzw. oft ignoriert. Dabei kommt oft vom Tester das erste Feedback über unbrauchbare GUIs. Ich habe letzthin mal gesagt, die Menuführung stresst mich, die art und weise mit diesem GUI zu arbeiten stresst mich und..., mir ist aufgefallen, je länger ich mit diesem GUI arbeite umso aggressiver werde ich (ich kann leider nicht eine andere application nutzen, da mein job :-) ). Ich habe ganz genau erklärt wieso ich gestresst bin, was geändert werden könnte, weshalb, teilweise gestützt mit Artikeln von UX Experten (die Quelle ist klar :-) ) etc.
    Die reaktion war, die menuführung wurde geändert aber von einem extrem ins andere extrem ohne über meine Argumente nachzudenken, oder mit mir mal eine "Expierence" zu machen. Das finde ich dann eben schade, wenigstens zuhören, man muss es ja nicht immer übernehmen.
    Tja, die folge ist, ich muss neue Argumente suchen, bevor die zahlenden Kunden diese liefern, ich freu mich auf die Challenge.
  • Gunter

    21-08-14 11:13

    Unter https://www.linkedin.com/groups/UX-Without-User-Research-Is-3735935.S.5905255950675120129 ist über den Artikel auch eine Diskussion entstanden, bei für mich leider herauskam, dass das interne Potential (z.B. der Tester) zur Verbesserung der UX nicht verstanden oder gesehen wird.

    Es geht immer nur um Standesdenken nach der Art: Es muss ein "echter" UX-ler sein, es muss ein UX-Team sein... Leider nicht sehr zielführend. Schlussendlich kennen viele der Diskutierenden garnicht die Realität eines UX- bzw. Usability-Engineers.

    Was tun?

    Flexibel bleiben, immer das Team unterstützen, und wenn nur 10% deiner Zeit für "echte" UX bereitstehen, dann ist das schon etwas, dann nutze diese mit möglichst einfachen Mitteln, wie eine Papierzeichnung ;-)

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