• Facebook
  • Google+
  • Twitter
  • XING
12.04.2004

Warum Handys nerven

Umstehende haben Handy-Gespräche als dramatisch stärker wahrnehmbar, aufdringlich und lästig bewertet als Gespräche, die zwischen zwei anwesenden Personen geführt wurden. Dabei war die Lautstärke ein Kriterium, aber der Umstand, dass man nur die halbe Diskussion hört, schien ebenfalls ein Irritationsfaktor zu sein.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 12.04.2004

 

Andrew Monk und Kollegen der Universität York haben eine wunderbare Studie durchgeführt, um festzustellen, warum es so lästig ist, wenn andere Leute in der Öffentlichkeit Handy-Gespräche führen.

Die Forscher haben vor ahnungslosen Pendlern, die entweder im Zug sassen oder auf einen Bus warteten, einminütige Gespräche vorgespielt. In der Hälfte der Fälle haben sich jeweils zwei anwesende Akteure unterhalten, während sie neben einem potenziellen Testteilnehmer sassen. In der anderen Hälfte hat ein einzelner Akteur mit seinem Handy gesprochen, während er neben einem potenziellen Testteilnehmer sass.

Des Weiteren haben die Akteure die Hälfte der Gespräche in normaler Lautstärke geführt, die andere dagegen übertrieben laut (laut Messung mit einem Lautstärkemesser). Inhalt und Dauer der Gespräche waren in allen Fällen gleich.

Nach jedem Testgespräch haben die Forscher die Umstehenden angesprochen und gebeten, einen kurzen Fragebogen über das Gespräch auszufüllen. Mit anderen Worten, während das Gespräch stattfand, haben die Teilnehmer nicht gewusst, dass sie Teil eines Experimentes waren, sondern haben angenommen, dass das Gespräch zum normalen Verhalten eines oder zweier anderer Pendler gehörte.

Die Zustimmungsfrage

Manche Leute mögen die ethische Frage aufwerfen, ob man Feldforschung betreiben darf, ohne zuvor die Zustimmung der Teilnehmer einzuholen, aber in meinen Augen war diese Studie ethisch völlig korrekt. Die entscheidende Frage ist, ob man den Teilnehmern Schaden zufügt, und nicht, ob man genug Papier herumschiebt, um eine Bürokratie zufrieden zu stellen.

In diesem Fall wäre es unmöglich gewesen, die Leute zuerst eine Erklärung unterschreiben zu lassen, dass sie ein Gespräch beobachten und nachher kommentieren sollen. Wenn sie im Vorhinein von dem Gespräch gewusst hätten, hätte das ihre Wahrnehmung vollkommen verändert. Ausserdem hätte bei dieser Studie eine Person, wenn sie nicht hätte teilnehmen wollen, sich bloss zu weigern brauchen, die Fragen zu beantworten. Dass man eine kurze Unterhaltung in der Öffentlichkeit mitbekommt, ist ein gewöhnliches Phänomen; das schadet niemandem und bleibt innerhalb der ethischen Richtlinien für Usability-Studien.

Die Ergebnisse der Studie

Die Ergebnisse waren wie folgt. Die Zahlen zeigen die durchschnittliche Bewertung auf einer Skala von 1 bis 5 an, wobei 1 für am meisten zusagend stand.

Die erste Tabelle vergleicht, wie Umstehende Handy-Gespräche gegenüber persönlichen Gesprächen bewerten:

Das Gespräch war stark wahrnehmbarDas Gespräch war aufdringlichDie Lautstärke des Gesprächs war lästigDurchschnitt
Handy3.42.52.42.8
persönlich1.81.41.61.6


Die zweite Tabelle vergleicht, wie Umstehende verschiedene Gesprächslautstärken bewertet haben:

wahrnehmbaraufdringlichlästigDurchschnitt
laute Stimme3.22.42.42.7
normale Stimme2.11.51.61.7


Klar, Handys schneiden viel schlimmer ab als persönliche Gespräche, das bestätigt manche Anekdote. Wie erwartet schnitten laute Gespräche schlimmer ab als leisere Gespräche. Es fällt jedoch auf, dass Handy-Gespräche negativer eingeschätzt werden als laute Gespräche. Die Teilnehmer haben sogar gesagt, dass die Lautstärke der Handy-Gespräche lästiger gewesen sei als die von persönlich geführten Gesprächen, obwohl die Lautstärke gleich gewesen ist, wie durch objektive Messungen kontrolliert wurde.

Können wir die Handys weniger lästig machen?

Die Feldforscher haben die Testteilnehmer gebeten zu bewerten, wie sehr sie das Klingeln des Handys belästigt habe. (Unter der Bedingung des persönlichen Gesprächs gab es keine vergleichbare Frage.) Gleichwohl fanden die Leute das Klingeln nicht besonders schlimm, also scheint die Tatsache, dass Handys klingeln, nicht zu erklären, warum die Umstehenden Handy-Gespräche hassen.

Die Sprechlautstärke dagegen hat die Belästigungsschwelle der Umstehenden beeinflusst: Laute Telefongespräche wurden negativer eingeschätzt als mit normaler Stimme geführte Telefongespräche. Wenn man Handys entwirft, welche die Nutzer anregen, leise zu sprechen, wird das den störenden Einfluss auf andere Leute reduzieren. Empfindlichere Mikrophone zum Beispiel und eine bessere Qualität des empfangenen Tons könnten bei den meisten Nutzern die Neigung zum Schreien verringern.

Aber die Lautstärke war bei den Handys nicht das grösste Problem. Vielmehr haben auch Telefongespräche in normaler Lautstärke schlechter abgeschnitten als persönliche Gespräche. Das grösste Problem scheint zu sein, dass Handy-Gespräche stärker wahrnehmbar sind als persönliche Gespräche. Das erscheint seltsam, da zwei Leute, die miteinander sprechen, doppelt so viel Schall erzeugen wie eine Person, die ins Telefon spricht.

Leider liefern Monk und seine Kollegen die endgültige Antwort nicht; da ist weitere Forschung nötig. Das Problem scheint zu sein, dass die Leute aufmerksamer werden, wenn sie nur das halbe Gespräch hören können. Es ist anscheinend leichter, das kontinuierliche Gemurmel eines kompletten Gesprächs, in dem zwei Leute abwechselnd sprechen, auszublenden, als wenn eine Person abwechselnd spricht und schweigt.

Auf der Grundlage dieser frühen Forschungsergebnisse ist es schwer zu sagen, wie man Telefone konstruieren könnte, die das Problem der Wechselseitigkeit des Tons in einem Gespräch in den Griff bekommen. "Speakerphones" könnten eine Antwort sein, aber das glaube ich nicht.

Sicher ist, dass die Ergebnisse die Tatsache dokumentieren, dass Handys lästig sind, und dass die Gesprächslautstärke dabei nur ein Faktor ist. Wenn die Handy-Anbieter eine Rückwirkung gegen ihre Produkte vermeiden wollen, sind sie gut beraten, diesen Ergebnissen Beachtung zu schenken und wesentliche Anstrengungen zu unternehmen, um Handys für Umstehende weniger irritierend zu machen.

Methodische Vorzüge

Obwohl diese Erkenntnisse mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten, finde ich die Studie aus zwei Gründen bemerkenswert:

  • Sie ist eine Pioniertat auf dem Gebiet der "Bystander-Usability". Es reicht nicht, die Usability für direkte Nutzer zu testen. Wir müssen auch an diejenigen denken, die eine "Nutzererfahrung" machen, ob sie wollen oder nicht. Diese Frage wird immer wichtiger, sobald Nutzeroberflächen den Bildschirm verlassen und physisch und/oder mobil werden.
  • Sie ist ein gutes Beispiel für Feldforschung und dafür, wie man in einem natürlichen Umfeld Daten von Teilnehmern sammeln kann. Szenarien mit Schauspielern zu inszenieren, ist in der Usability-Forschung eine unübliche Methode, aber solche Methoden könnten weitere Verbreitung finden, wenn wir dazu übergehen, kooperative Systeme und Umgebungsdesigns zu untersuchen.

Referenz

Andrew Monk, Jeni Carroll, Sarah Parker, Mark Blythe: Why are Mobile Phones Annoying? Behaviour and Information Technology, Bd. 23, Nr. 1, 2004, S. 33-41

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

Kommentare auf diesen Beitrag

    Keine Kommentare

Kommentar hinzufügen

Die mit * gekenzeichneten Felder sind zwingend auszufüllen