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12.09.2011

Wie lange bleiben die Nutzer auf einer Webseite?

Die Nutzer verlassen Webseiten oft innerhalb von 10-20 Sekunden, aber Seiten mit einem klaren Wertversprechen können die Aufmerksamkeit der Leute viel länger fesseln, weil die Besuchsdauer einer negativen Weibull-Verteilung folgt.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 12.09.2014

 

Wie lange bleiben die Nutzer auf einer Webseite, bis sie sie verlassen? Das ist seit Ewigkeiten die Frage und die Antwort lautete immer:

  • nicht so lange.

Der durchschnittliche Seitenbesuch dauert weniger als eine Minute.

Während die Nutzer durch die Webseiten eilen, haben sie nur die Zeit, ein Viertel des Textes zu lesen, die sie wirklich aufsuchen (ganz zu schweigen von all den Seiten, die sie nicht aufsuchen). Deshalb kommt nur wenig von dem, was Sie auf der Seite sagen, zu den Kunden durch - es sei denn, Ihr Text ist ausserordentlich klar und zielgerichtet formuliert.

Doch obwohl die Nutzer im Internet immer in Eile sind, variiert die Zeit, die sie auf einzelnen Seiten verbringen, sehr breit: Manchmal sind sie sofort wieder weg, in anderen Fällen bleiben sie sehr viel länger als eine Minute hängen. Deshalb ist die Durchschnittslänge des Besuchs nicht so gut geeignet, das Nutzerverhalten zu analysieren. Die Nutzer sind Menschen - ihre Verhaltensweisen sind hoch variabel und lassen sich nicht mit einer einzelnen Zahl erfassen.

Das Verlassen von Webseiten: die Ausfallgefahr-Funktion von Weibull

Neue Forschungsergebnisse von Chao Liu und Kollegen bei Microsoft Research liefern uns jetzt ein mathematisches Modell des Verhaltens der Nutzer beim Verlassen von Webseiten. Die Wissenschaftler haben Daten eines »populären Browser-Plug-ins« gesammelt und auf deren Basis die Dauer von Seitenbesuchen auf 205.873 verschiedenen Webseiten analysiert. Dabei berücksichtigen Sie nur jene Seiten, die mehr als 10.000 Besuche vorweisen konnten. Eines ist gewiss: Diese Kerle haben eine Menge Daten verwurstet (mehr als 2 Milliarden Verweilzeiten).

Ergebnis: die Zeit, die die Nutzer auf einer Webseite verbringen, folgt einer Weibull-Verteilung.

99,9% der Leser werden jetzt wissen wollen: Was ist eine Weibull-Verteilung?

Weibull nennt sich ein Konzept zur Planung der Ausfallsicherheit, mit dessen Hilfe man die Zeit analysieren kann, die vergeht, bis eine Komponente kaputt geht. Die Ausfallgefahr-Funktion des Modells zeigt die Wahrscheinlichkeit an, mit der eine Komponente innerhalb eines Zeitraums t versagen wird, vorausgesetzt, dass sie bis zum Beginn des Zeitraums t gut funktioniert hat.

Das bedeutet: Wenn man ein Ersatzteil in einer Maschine ausgetauscht hat, gibt die Weibull-Analyse eine Prognose darüber ab, wann man es erneut austauschen muss. Auch kann man damit Risikoanalysen durchführen, die über die simple Durchschnittszeit bis zum Ausfall hinausgehen. Und wenn man einen grossen Maschinenpark betreuen muss, kann man damit aggregierte Analysen fahren, um zum Beispiel das Ersatzteillager zu verwalten.

Wenn wir Web-Besuche analysieren, ersetzen wir einfach den "Ausfall einer Komponente" durch das "Verlassen der Seite durch einen Besucher". In ihrer Forschungsstudie legen Liu und Kollegen intensive statistische Analysen vor, um zu zeigen, dass das Weibull-Modell sich eng mit dem empirisch beobachteten Nutzerverhalten deckt.

Gemäss früheren Forschungsergebnissen gibt es zwei verschiedene Arten von Weibull-Verteilungen:

  • Positives Altern: Je länger eine Komponente in Betrieb war, desto wahrscheinlicher wird es, dass sie versagt. Mit anderen Worten, die Ausfallgefahr steigt bei höheren Werten für t. Das erscheint intuitiv gesehen sinnvoll, denn je länger etwas genutzt wird, desto stärker wird es abgenutzt. Also rückt etwas, das schon lange in Nutzung ist, dem Ausfall näher.
  • Negatives Altern: Je länger eine Komponente in Betrieb war, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass sie versagt. In diesem Fall sinkt die Ausfallgefahr bei grösseren Werten von t. Das erscheint dann sinnvoll, wenn die Qualität der Einzelkomponenten stark schwankt: Schlecht gemachte Komponenten pflegen schon früh auszufallen, deshalb ist etwas, das schon lange in Betrieb ist, mit grosser Wahrscheinlichkeit besonders robust und hält gewöhnlich noch länger.

Negatives Altern: Man verschwindet schnell oder bleibt lang

Die Forscher haben herausgefunden, dass 99 Prozent der Webseiten einen negativen Alterungseffekt aufweisen. Bei der Erforschung der Mensch-Computer-Interaktion (Human Computer Interaction, HCI) sind solche starken Ergebnisse extrem selten; Liu und Kollegen sollten für die Entdeckung einer bedeutenden neuen Einsicht einen Preis bekommen.

Warum das negative Altern? Weil Webseiten in der Tat von einer hoch variablen Qualität sind. Die Nutzer wissen das und verbringen die ersten Momente auf einer Seite mit einer erbarmungslosen Selektion, um so schnell wie möglich die Spreu vom Weizen zu trennen. Es ist selten, dass die Leute auf Webseiten kleben bleiben, aber wenn die Nutzer sich entschieden haben, dass eine Seite wertvoll ist, dann können sie durchaus eine Weile dort bleiben.

Das folgende Diagramm zeigt die Ausfallgefahr-Funktion - also die Wahrscheinlichkeit, mit der die Nutzer die Seite verlassen - für den Median der Weibull-Parameter, die die Wissenschaftler aus ihrem gewaltigen Datensatz gezogen haben:

Ausfallgefahr-Funktion
y-Achse: Wahrscheinlichkeit für das Verlassen der Seite
x-Achse: Länge des Seitenbesuchs bis zu diesem Zeitpunkt (in Sekunden)

Aus dem Diagramm ergibt sich klar, dass die ersten zehn Sekunden des Seitenbesuchs kritisch sind für die Entscheidung der Nutzer, ob sie bleiben oder gehen sollen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie gehen, ist in ersten Sekunden sehr hoch, weil die Nutzer extrem skeptisch sind, nachdem sie in der Vergangenheit von zahllosen schlecht gestalteten Webseiten geplagt worden sind. Die Leute wissen, dass die meisten Webseiten nutzlos sind und sie verhalten sich entsprechend, um so wenig Zeit wie möglich auf schlechten Seiten zu verschwenden.

Wenn die Webseite dieses extrem scharfe 10-Sekunden-Urteil überlebt, werden sich die Nutzer dort ein wenig umsehen. Aber es ist immer noch hoch wahrscheinlich, dass sie in den folgenden 20 Sekunden Ihres Besuchs die Seite verlassen. Erst wenn die Leute etwa 30 Sekunden lang auf einer Seite geblieben sind, wird die Kurve relativ flach. Es gibt immer noch jede Sekunde Leute, die die Seite verlassen, aber die Rate ist viel niedriger als in den ersten 30 Sekunden.

Wenn Sie es also schaffen, die Nutzer davon zu überzeugen, eine halbe Minute lang auf Ihrer Seite zu bleiben, dann haben Sie eine gute Chance, dass sie noch deutlich länger bleiben - oft zwei Minuten oder mehr, was im Internet eine Ewigkeit ist.

Grob gesagt, gibt es hier zwei Fälle:

  • schlechte Seiten, die schon in wenigen Sekunden einen Korb bekommen; und
  • gute Seiten, auf denen man einige Minuten verbringt.

Beachten Sie: "Gut" oder "schlecht" ist eine Entscheidung, die jeder einzelne Nutzer in den ersten Sekunden seiner Ankunft trifft. Die Folgerungen fürs Design sind klar:

  • Um mehrere Minuten Nutzer Aufmerksamkeit zu erzielen, müssen Sie Ihr Wertversprechen innerhalb von zehn Sekunden kommunizieren.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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