100 Millionen Websites
Das explosive Wachstum des jungen Webs hat sich verlangsamt, aber auch das reife Web dehnt sich weiterhin aus und hat kürzlich die 100-Millionen-Websites-Marke passiert.
by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 06.11.2006
Die neueste Web-Zählung von Netcraft im November 2006 hat 101.435.253 Websites ergeben. Nicht alle diese Websites sind lebendig: Manche sind geparkte Domains, manche sind verlassene Weblogs, die seit Urzeiten nicht mehr aktualisiert wurden. Aber auch wenn nur die Hälfte der Websites gepflegt werden, gibt es nach wie vor 100 Millionen Websites, für deren Betrieb Leute Geld ausgeben.
Die 100-Millionen-Marke ist ein grosser Meilenstein und steht für ein immenses Wachstum seit der Gründung des Webs vor 15 Jahren.
Die folgende Kurve zeigt die Anzahl der Websites von 1991 bis 2006. Wie Sie sehen, kann man nur mit einer logarithmischen Skala die hohen Veränderungsraten in den frühen Jahren des Web veranschaulichen.
Die Anzahl der Websites in jedem Jahr seit der Gründung des Web
Wie die Kurve zeigt, hat das Web drei Wachstumsstadien erlebt:
- 1991-1997: explosives Wachstum mit Raten um 850% pro Jahr.
- 1998-2001: schnelles Wachstum mit Raten um 150% pro Jahr.
- 2002-2006: gemässigtes Wachstum mit Raten um 25% pro Jahr.
Nur im Web würden wir 25% eine "gemässigte" Wachstumsrate nennen. Jedes andere Feld wäre froh, wenn es halb so schnell wachsen würde. Wenn das Web diese Wachstumsrate beibehält, wird es 2010 die Marke von 200 Mio. Websites erreichen. Einerseits ist es nur realistisch, von einem langsamer werdenden Wachstum auszugehen, da das Web weiter heranreift. Andererseits wäre mit 200 Millionen Websites immer noch nicht die volle Penetration erreicht - in der Welt gibt es viel mehr als 200 Mio. Unternehmen, Vereine und Ämter und vielleicht werden sie alle Websites haben (und dazu noch viele Einzelpersonen). Mithin erwarte ich, dass wir die 200 Mio. bald sehen werden, wenn auch realistischerweise eher 2012 als 2010.
Konsequenzen des heranreifenden Webs für das Design
Ich erinnere mich an 1994 - die Periode mit dem schnellsten Wachstum in der Geschichte des Webs. In jenem Jahr sprang das Web von 700 auf 12.000 Websites; das war ein Jahreswachstum von 1600%. Bei den wöchentlichen Treffen unseres Web-Projektteams hatten wir immer etwas vollkommen Neues zu berichten, etwas, das in jener Woche zum ersten Mal im Web aufgetreten war.
Bei der damaligen Veränderungsrate gab es 1994 nichts, das man "das Nutzererlebnis im Web" hätte nennen können. Jedes Mal, wenn die Nutzer online gingen, begegnete ihnen etwas Neues. Dennoch kristallisierten sich in meinen Untersuchungen Ende 1994 die ersten Web-Usability-Muster heraus. Wie mein neues Buch zeigt, habe ich einige dieser Richtlinien aus den 1990er Jahren im Lichte neuerer Forschungsergebnisse modifiziert, aber viele davon haben sich auch gehalten.
Das rapide Wachstum des Webs endete 2001 und alle Usability-Richtlinien, die wir seitdem gefunden haben, haben sich immer wieder bestätigt. Web-Usability hat sich zwar noch nicht vollkommen gesetzt, aber neuere Arbeiten zielen mehr darauf ab, zusätzliche Einsichten zu gewinnen, als darauf, "alte" Ergebnisse von 2001 und später in Frage zu stellen.
Wir befinden uns an einem Punkt, an dem das herangereifte Web ein wohl definiertes Nutzererlebnis besitzt und an dem die Nutzer feste Erwartungen daran haben, wie eine Website funktionieren soll. Zum Beispiel haben alle Nutzer ein spezifisches mentales Modell von der Suche, und unsere Eyetracking-Studien bestätigen, dass die Nutzer Suchergebnisseiten immer in der gleichen Weise betrachten - auch dann, wenn eine Website vom Standardmodell abweicht.
Das soll nicht bedeuten, dass man die Suche nicht weiter verbessern könnte. Im Gegenteil: Die Suche hat unter allen Web-Elementen die niedrigsten Usability-Werte; es gibt also noch jede Menge Spielraum für eine Steigerung der Nutzerleistung. Der Punkt ist aber, dass sich grundlegende Erwartungen der Nutzer etabliert haben und dass Sie Ihre Seiten entsprechend gestalten sollten, wenn Sie nicht etwas substanziell Besseres gefunden haben. Eine kleine Verbesserung bringt dagegen nichts, sobald sie eine unkonventionelle Interaktionsform erfordert.
Zwar steht zu erwarten, dass in absoluten Zahlen noch viel mehr Websites hinzukommen, aber worauf es ankommt, ist die Veränderungsrate und die hat sich stabilisiert. Von der Technik-Explosion zum Massenprodukt in bloss 15 Jahren: Schon das ist ein Anzeichen für die schnelllebige Natur der modernen Welt. Beim Buch hat die gleiche Umwandlung wahrscheinlich hunderte von Jahren gedauert, bis der Punkt erreicht war, an dem es darauf ankommt, was man schreibt und nicht mehr darauf, wie das Werk produziert wird.
Die Gestaltung Ihrer Website sollte zu den Erwartungen der Nutzer passen. In einem reifen System entsteht Profil nicht mehr aus einer widerständigen Nutzeroberfläche. Solche Oberflächen dienen nur dazu, Besucher von einer Website zu vertreiben. Das Web ist nicht länger ein Wunderwerk der Neuerungen, es ist ein Alltagswerkzeug und Sie gewinnen Profil durch zwei Dinge: bessere Inhalte und bessere Lösungen für die Probleme der Nutzer.
© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.
Kommentare auf diesen Beitrag