Unternehmensportale schießen wie Pilze aus dem Boden
Eine Usability-Analyse von 23 Intranetportalen findet starkes Wachstum, zunehmende Funktionen für Zusammenarbeit und funktionsübergreifende Steuerung.
by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 14.07.2008
Webportale führen ein extrem unbeständiges Dasein: Alle paar Jahre sind sie in, und dann sind sie auch schon wieder "out", wobei viele Stars der letzten Saison Konkurs anmelden oder billig aufgekauft werden. Innerhalb Firmen sieht das ganz anders aus: Unternehmensportale kennen nur eine Richtung, und die geht bergauf. Denn immer mehr und mehr Firmen führen Intranetportale ein und verbessern stetig deren Funktionen und Usability.
Seit unserer letzten Analyse von Unternehmensportalen sind 3 Jahre vergangen. Höchste Zeit für ein Update. Dieses Mal haben wir Daten von 23 Firmen und Organisationen gesammelt. Die neuen Daten ergänzen die Informationen der 25 Firmen aus den 2 vorhergehenden Ausgaben des Berichts. Unsere derzeitigen Empfehlungen für Intranetportale gründen demnach auf den Erfahrungen der letzten 5 Jahre mit 48 Firmen und Organisationen.
Das erste Ergebnis ist, dass alle 62 bisherigen Empfehlungen immer noch gelten. Obwohl sich viel verändert hat - und wir viele neue Ergebnisse gefunden haben (mit denen wir zu insgesamt 117 "best practices" im neuen Bericht gelangen) - ändern sich "best practices" im Bereich der User Experience nicht wesentlich. Die Technologie verändert sich zwar, und die Anbieter produzieren eine x.0-Version nach der anderen, aber die Usability-Belange verändern sich wesentlich langsamer, weil sie auf menschlichen Eigenschaften basieren.
Zum Beispiel fanden wir erneut, dass rollengestützte Personalisierung die richtige Vorgehensweise ist. Die Leute benutzen sehr selten die Personalisierungsfunktionen von Unternehmensportalen, so häufig sie auch danach fragen. (Wieder ein großartiges Beispiel dafür, warum man nicht darauf hören sollte, was Nutzer sagen.)
Eine interessante Ausnahme bilden hier die Universitätsportale, wo viele Nutzer sich durchaus auf diese individualisierten Funktionen einlassen. Warum? Vielleicht weil Universitätsmitarbeiter eine Neigung zum Fummeln haben oder eine Erkundung auch um ihrer selbst willen schätzen.
Wachsende Reife der Portale, aber auch viele Neulinge
Wie auch in früheren Jahren gilt, dass kein Portalprodukt alle Lösungen hat; demnach bleibe ich Anbieter-neutral. Davon abgesehen hängt die Qualität eines Intranetportals mehr davon ab, wie es aufgebaut ist und bedient wird, als von der technischen Plattform - die bloß den Umriss einer Nutzerpraxis bietet, den das Team ausfüllen muss.
Trotz meiner Anbieterneutralität kann ich nicht anders, als den Portalanbieter BEA zu zitieren, denn der hat erklärt, dass der Markt der Portale boomt, und hat geschätzte 1,4 Milliarden Dollar an Jahresumsatz für 2011 prognostiziert. Während ich nichts zu der Verkaufsprognose sagen kann, kann ich auf jeden Fall bestätigen, dass wir einen signifikanten Anstieg bei der Indienststellung von Portalen festgestellt haben.
Untersucht haben wir Intranetportale zum ersten Mal vor fünf Jahren, wobei das Konzept sicherlich schon älter ist. Dennoch sind viele Firmen-Intranets erst jetzt genügend entwickelt, dass die Teams anfangen können, sie in Portale mit umfangreicher Funktionalität zu verwandeln. Einige der grösseren und etablierteren Portale, die wir untersucht haben, haben ein sehr beeindruckendes Niveau erreicht, aber die Firmen entwickeln sie gleichwohl immer weiter, streben das Single-Sign-On-Nirwana an (siehe unten) fügen ständig neue Kooperationsfunktionen hinzu.
Von Revierkämpfen zu funktionsübergreifender Steuerung
Eine grosse Veränderung zu früheren Untersuchungen ist, dass die ersten zwei Ausgaben des Berichts dominiert wurden von Geschichten über Revierkämpfe, bei denen einzelne Abteilungen sich weigerten, sich der notwendigen portalweiten Einheitlichkeit bei Intranetinhalten zu unterwerfen. Mittlerweile beobachten wir weniger Revierkämpfe und mehr Anerkennung für die Vorteile des Portals als unternehmensübergreifende Initiative. Die meisten Firmen nutzen funktionsübergreifende Teams oder Steuerungsgruppen, um die Unterstützung aus den unterschiedlichen Abteilungen sicherzustellen. Diese sanftere Herangehensweise an die Steuerung des Portals ist viel erfolgreicher als eine (scheinbar) arrogante Intranetgruppe aus der IT-Abteilung, die den anderen Abteilungen ein Portal aufzwingt.
Und dennoch, erfolgreiche Portalprojekte können nicht allein von einer lockeren Versammlung wohlmeinender Leute aus unterschiedlichen Abteilungen der Organisation geleitet werden. Das Portal muss jemandes Aufgabe sein. In grösseren Organisationen ist dies eine Ganztagsarbeit. Aber sogar in kleineren Firmen müssen bestimmte Individuen innerhalb ihrer offiziellen Stellenbeschreibung für das Portal verantwortlich sein.
Es ist besonders wichtig zu erkennen, dass ein Intranetportal nicht ein einmaliges Projekt ist, das abgeschlossen ist, sobald das Intranet eingeführt wurde. Die für das Portal Verantwortlichen müssen auch nach dem Start bei der Sache bleiben; andernfalls verfällt das Intranet unweigerlich. Permanente, fest zugeordnete Ressourcen sind vonnöten, um neue Funktionen zu integrieren und um die Qualität von bestehenden Funktionen aufrechtzuerhalten, wie zum Beispiel die Suchfunktion. Es ist erstaunlich, wie schnell sich die Suchqualität verschlechtert, wenn es keine fortdauernde Bemühung um gute Überschriften und gute Verfahren bei der Intranet-Informationsarchitektur gibt.
Single Sign-On: Immer noch schwer zu fassen
Single Sign-on ist das Ungeheuer von Loch Ness in der Intranetwelt: Die Leute hören davon und glauben sogar, dass es existiert, aber in echt haben sie es noch nie gesehen.
Bei unserer Erstuntersuchung vor 5 Jahren war bereits klar, dass Single Sign-on die Nutzerproduktivität und -zufriedenheit grundlegend verbessern und die Kosten der Hilfefunktion enorm reduzieren könnte. (Ein riesiger Anteil von Anrufen beim Hilfeteam hat mit Passwortproblemen zu tun.) Zu der Zeit war Single Sign-on mehr eine Hoffnung als eine praktikable Möglichkeit.
Unsere zweite Untersuchungsrunde bestätigte das Potenzial von Single Sign-on - und seine Unerreichbarkeit.
Wirkliches Single Sign-on (SSO) war und ist ausserordentlich selten, wie unsere dritte Untersuchungsrunde zeigt. Wir können daraus nur schliessen, dass es sehr schwer zu erreichen ist, trotz seiner Aussichten. Allerdings beobachten wir eine interessante, pragmatische Annäherung an das, was Kaiser Permanente "reduziertes Anmelden" nennt. Arbeiten Sie so hart wie möglich daran, die Anzahl der Authentifizierungsaufforderungen, denen die Nutzer jeden Tag begegnen, zu reduzieren, auch wenn Sie sie nicht auf 1 herunterbekommen können. Sie können die Frustration der Nutzer auch reduzieren, indem Sie sie über die bevorstehende Anmeldeprozedur informieren, bevor die Nutzer auf den Link klicken, der diese Forderung aktiviert.
Nachrichten und Zusammenarbeit: Alte und neue Portalschlager
Die guten alten Nachrichten sind weiterhin eine der Hauptattraktionen eines Intranetportals. Aber: Dass es ein bewährtes Werkzeug ist, heisst noch lange nicht, dass man es ignorieren sollte. Oft kommt der größte Gewinn daraus, den "langweiligen" Kram zu verbessern, den jeder kennt - und nutzt.
Auf Portalen spielt die Nachrichtenseite zwei verschiedene Rollen:
- Vereinigung der Kräfte: Sie stellt sicher, dass alle Mitarbeiter informiert sind und eine einheitliche Mitteilung erhalten.
- Zielgruppen-Optimierung: Sie fasst spezielle Nachrichten zusammen und verbreitet sie so, dass jeder Nutzer eine gefilterte Ansicht bekommt, einzig und allein mit den Informationen, die er oder sie benötigt.
Um die Nutzung des Portals voranzutreiben, fügen einige Firmen nun auch Werkzeuge für die Zusammenarbeit der Kollegen hinzu, oft in der Form von "Web 2.0"-Funktionen wie Blogs und Wikis. Die Firmen, die wir untersucht haben, hatten unterschiedliche Haltungen innerhalb der Steuerungsgruppen bzgl. solcher Werkzeuge: Manche begrüssten das gleiche Niveau von Offenheit (und Chaosrisiko), wie wir es im offenen Internet sehen; andere wählten einen strafferen Ansatz.
In jedem Fall tendieren die Zusammenarbeitsfunktionen von Intranetportalen dazu, geschäftsorientiert zu sein und profitieren davon, dass alle Beiträge dem realen Namen eines Mitarbeiters zugeschrieben werden können. Beleidigende Emails fallen weniger scharf aus, wenn man sie unterschreibt und an Leute adressiert, denen man am nächsten Tag noch in der Cafeteria gegenübertreten muss.
Anstatt modischen Web-2.0-Trends nachzulaufen, zeigen unsere Fallbeispiele die Notwendigkeit auf, einen Geschäftsprozess für "Unternehmen 2.0"-Funktionen zu entwickeln. Viele solcher Funktionen sind in der Tat wesentlich nützlicher bei Intranets als im offenen Internet. Dennoch müssen Sie erst sicherstellen, dass Sie eine Management-Struktur und fixe Regeln haben, und dass Sie den wirtschaftlichen Wert von allen geplanten Funktionen kennen. Wenn Sie den Geschäftsprozess nicht identifizieren können, dann sind Sie besser damit bedient, sich auf weitere Verbesserungen der alten Funktionen, die Sie bereits haben, zu konzentrieren.
Nutzerorientiertes Design
Die meisten Portalteams gründen ihr Design auf irgendeine Art von Nutzerforschung. Nutzertests, Umfragen und Card Sorting werden alle häufig verwendet, zusammen mit einigen anderen Usability-Methoden.
Das Problem liegt darin, dass Teams oft eher Umfragen nutzen (welche erfassen, was die Leute sagen) als Tests (welche zeigen, was die Leute wirklich tun). Die Teams, die Nutzertests bei ihren Portalprojekten ausprobiert haben, sind zu starken Fürsprechern dieser Methode geworden und berichten von dem hohen Wert ihrer Tests. Leider muss ein Team häufig erst einen Test durchführen, bevor es von dem Wert, den Nutzertests haben, überzeugt sein kann. Mich das einfach sagen zu hören, ist bei weitem nicht so motivierend wie die persönliche Erfahrung, Nutzer zu beobachten. Auch wenn dies offensichtlich ein bisschen so ist wie das Problem von Huhn und Ei, so sehen wir doch, dass immer mehr Intranetportale Nutzertests ausgesetzt werden.
Rendite schlecht dokumentiert
Nur wenige Portalteams sammeln solide Zahlen, um den Ertrag ihres Projektes auf die Investition einzuschätzen. Die ehrenhafte Ausnahme war diesmal Dell, die jährliche Produktivitätszuwächse von 36 Millionen Dollar aus ihrem Portal berechneten. Dells Renditenzahl entstammt seiner massgebenden Prozessverbesserungsmethodik, die auf den Sechs Sigma basiert.
Zwar verbuchen kleinere Firmen höchstwahrscheinlich kleinere Einsparungen, doch auch sie sollten die Rendite abschätzen. Sie können dies so detailliert machen wie sie möchten; so gut die Sechs Sigma auch sind, wollen wir sie hier nicht als Standard hochhalten, dem sich jeder anzupassen hat. Es ist sehr praktikabel, die Produktivitätsverbesserungen von Portalen mit Hilfe der einfacheren Methode einzuschätzen, die wir bei unserer Studie über Intranet-Usability im Allgemeinen angewandt haben:
- Legen Sie eine Zahl von Kernaufgaben für ihre Mitarbeiter fest.
- Finden Sie heraus, wie häufig die Leute diese Aufgaben ausführen.
- Finden Sie den vollen Stundenlohn eines Durchschnittsmitarbeiters ihrer Firma heraus. (Oder, für eine fortgeschrittenere Herangehensweise, unterteilen Sie die Mitarbeiter in ihre Hauptberufsrichtungen und starten Sie diese Analyse für jeden einzelnen Bereich, indem Sie Durchschnittskosten für die Leute in diesem Bereich verwenden und jeweils die Häufigkeit der Nutzung.)
- Beobachten Sie und messen Sie die Zeit, während die Leute die vorgegebenen Aufgaben mit Ihrem derzeitigen Design durchführen. Für das Zeitmessen wird eine einfache Stoppuhr genügen; Sie brauchen kein besonderes Equipment oder ein schickes Usability-Labor. In der Tat sammeln wir oft Richtwerte für Klienten, indem wir in einem kleinen Konferenzraum testen.
- Multiplizieren Sie die folgenden Zahlen: Aufgabenzeit, Häufigkeit der Aufgabe, den Stundenlohn der Arbeitnehmer und die Zahl der Intranetnutzer. Das Ergebnis zeigt, wie viel es die Firma kostet, die Aufgaben mit dem aktuellen Design zu erledigen.
- Rechnen Sie aus dieser Kosteneinschätzung hoch, um die Aufgaben einzubeziehen, die Sie nicht gemessen haben. Wenn Sie zum Beispiel ein Drittel der Kernaufgaben, die die Arbeitnehmer machen, gemessen haben, dann sollten Sie Ihre gemessenen Zahlen mit 3 multiplizieren, um eine passende Einschätzung aller Aufgaben zu gewinnen. Dies geht natürlich davon aus, dass Sie die Tests nicht auf die am besten unterstützten oder am höchsten entwickelten Bereiche des Intranets konzentriert haben, sondern auf eine fair ausgesuchte, repräsentative Aufgabenprobe.
Wiederholen Sie diesen Prozess noch einmal nach dem Start Ihres neuen Designs. Die neue Kosteneinschätzung wird normalerweise viel niedriger sein. Der Unterschied zwischen den beiden Zahlen zeigt die Produktivität an, die Sie aufgrund Ihres neuen Designs gewonnen haben. Als nächstes ziehen Sie die Projektkosten ab, um die Rendite zu berechnen.
Das wünschen wir uns von Ihnen. Mit Ausnahme von Dell haben die Teams, die wir untersucht haben, ihre Portalprojekte jedoch durch weichere Faktoren wie die erhöhte Nutzerzufriedenheit und die gesteigerte Nutzung gerechtfertigt.
Die Portale der Zukunft betonen zunehmend Funktionen für die Zusammenarbeit, und das Messen von Aktivitäten innerhalb einer Community stellt ein weiteres Argument dafür dar, dass Funktionen innerhalb der gesamten Firma geschätzt werden. Viele Organisationen betrachten einen verbesserten Zugriff auf Informationen als ein Hauptziel. Während es sicherlich möglich ist, die Veränderungen in der Mitarbeiterwahrnehmung von Unternehmensinformationen zu messen, neigen Portalteams zurzeit dazu, auch bei der Einschätzung von Wissensverbreitung eine qualitative Betrachtungsweise einzunehmen.
In der Tat betrachten viele Teams ihr Portal als eine solch offensichtliche Verbesserung gegenüber dem unorganisierten Intranet, das ihm vorangegangen ist, dass das Messen einer offiziellen Rendite wie Zeitverschwendung wirkt. Die gute Nachricht? Oft haben sie Recht. Wir haben einige gescheiterte Portalprojekte gesehen - und es gibt definitiv viele Tücken, die man kennen sollte - aber ein gutes Intranetportal bietet einen eindeutigen, hohen Mehrwert.
© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.
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