Websites: Manchmal werden sie doch gelesen
Wenn die Inhalte von Websites den Nutzern dabei helfen, sich auf spezielle Interessensbereiche zu konzentrieren, überfliegen die Nutzer die Inhalte nicht bloss, sondern fangen an zu lesen.
by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 24.06.2013
Abgesehen von direkten Transaktionen wie zum Beispiel beim Online-Banking stellt man fest, dass sich die Nutzer gegenüber den Internet-Inhalten geradezu paradox verhalten:
- Die Nutzer besuchen Websites auf der Suche nach Informationen.
- Während eines durchschnittlichen Besuchs auf einer Website lesen die Nutzer kaum etwas.
Der zweite Punkt wird von zahlreichen Forschungsergebnissen, die wir im Laufe der Jahre gesammelt haben, sehr gut untermauert:
- 1997 fasste die weltweit erste Studie (engl.) darüber, wie Nutzer Internet-Inhalte lesen, die Ergebnisse in zwei Worten zusammen: überhaupt nicht. Anstatt Informationen sorgfältig durchzulesen, überfliegen die Nutzer sie normalerweise nur.
- 2006 fand die Eyetracking-Forschung heraus, dass die Nutzer den Text einer Website oft in einem F-förmigen Muster überfliegen. Sie konzentrieren sich auf Worte oben und links auf der Seite und schauen kaum auf die Worte in anderen Bereichen der Seite.
- Neueste Forschung konnte dieses Ergebnis auch mit Zahlen stützen: während der durchschnittlichen Dauer eines Seitenbesuchs haben die Nutzer gerade mal Zeit, 28% der Wörter auf der Seite zu lesen.
Solche Forschungsergebnisse haben uns dazu veranlasst, uns näher mit Nanoinhalten zu beschäftigen, wie zum Beispiel der Frage, wie man ein Maximum an Inhaltes in den ersten beiden Wörtern von Überschriften und Links unterbringen kann.
Sich kurz zu fassen und Schlüsselwörter mit starker Informationsfährte nach vorne zu stellen, bleiben zwei der wichtigsten Richtlinien für das Schreiben im Internet. Allerdings lesen die Nutzer manchmal doch mehr als das absolute Minimum und wir wollten herausfinden, warum das so ist.
Wenn Leute lesen
Um dieses Phänomen zu untersuchen, haben wir 1.5 Millionen Eyetracking-Fixierungen von Hunderten von Websites untersucht. Schon allein die Tatsache, dass die Nutzer den Websites 1.5 Millionen Blicke geschenkt haben, zeigt, dass die Menschen tatsächlich Informationen im Internet konsumieren.
Hier ein Paradebeispiel: Diese Besucherin einer Zoo-Website hat einen Absatz ausgiebig gelesen:
Blickaufzeichnung beim Eyetracking: Jeder Punkt zeigt eine Fixierung (d. h. einen Moment, in dem der Nutzer etwas ansieht)
Natürlich illustriert dieses Beispiel auch das üblichen Ergebnis: Die Nutzerin hat sich nicht viele Informationen auf der Seite angesehen. Es ist eine gut strukturierte Seite mit klaren Überschriften, die verschiedene Informationen über eine bestimmte Entenart klar aufgliedern: das Verbreitungsgebiet, den Lebensraum, Merkmale, Verhalten und Fortpflanzung. In diesem Fall interessierte sich die Nutzerin für das Verhalten der Enten, daher hat sie diesen Absatz gründlich gelesen und die anderen Absätze nur kurz überflogen.
Es ist gut, dass die Besucherin ihre Aufmerksamkeit auf die Informationen konzentriert hat, die sie interessiert haben und den Rest ignoriert hat. Wenn wir sehen, dass die Nutzer auf Websites lesen, liegt das normalerweise daran, dass diese Website zwei Usability-Ziele erfüllt:
- Eine gute Informationsarchitektur (IA), mit einer klaren Navigation, die es den Nutzern erlaubt, schnell zu der Seite zu gelangen, die für sie relevant ist. Sobald die Nutzer von einer langsamen oder irreführenden Navigation ausgebremst werden, lässt ihr Interesse nach und damit auch die Motivation, viel zu lesen, wenn sie auf der gewünschten Seite angekommen sind. Des Weiteren sollte jede Seite gut gekennzeichnet sein, und zwar mit einer guten Überschrift und anderen Designelementen, die deutlich machen, dass dies wirklich die Seite ist, die die Nutzer benötigen.
- Ein gutes Seitenlayout, das das Auge schnell zu den relevanten Teilen der Seite leitet, und gut getextete Zwischenüberschriften, die die Absätze entsprechend zusammenfassen (wie im Zoobeispiel).
Es ist wichtig, oben zu stehen
Im Eyetracking-Beispiel der Zoo-Website hat die Nutzerin den vierten Abschnitt gelesen, weil er Inhalte enthielt, die die Nutzerin suchte. Im Allgemein ist es aber so, dass die Nutzer den Informationen oben auf der Seite die meiste Aufmerksamkeit widmen.
Die folgende Tabelle zeigt den prozentualen Anteil an Nutzern, die einen Absatz abgeschaut haben, im Verhältnis zur Platzierung im Textkörper:
Position von Beginn des Textkörpers | Nutzer, die den Absatz betrachtet haben |
1 | 81% |
2 | 71% |
3 | 63% |
4 | 32% |
Diese Tabelle zählt nur, ob ein Nutzer einen Absatz angesehen hat - also zumindest eine Fixierung in diesem Bereich aufweisen konnte. Ziemlich oft sind solche Blicke Teil der Strategie des Überfliegens von Texten, bei der es nicht zum eigentlichen Lesen gekommen ist, es sei denn, die Inhalte wurden für interessant befunden.
Wie die Tabelle zeigt, bekamen die ersten drei Absätze eine recht gute Aufmerksamkeit, aber es fällt auf, dass nur 32% der Nutzer den vierten Absatz betrachtet haben.
Das Gute daran, wenn man Zweiter bei Google & Co. ist
Die Nutzer verhalten sich fast genauso, wenn sie die Ergebnisseiten von Suchmaschinen betrachten. Es ist sehr gut dokumentiert, dass das erste Suchergebnis überproportional viele Klicks erhält; nur wenige Nutzer gehen überhaupt über die erste Seite der Suchergebnisse hinaus.
Die Nutzer neigen dazu, sich auf die ersten Treffer zu konzentrieren, aber sie sehen sich doch mehr um, als die Klicks vermuten lassen: 17% der Nutzer sehen sich nur einen einzigen Treffer an, bevor sie klicken, aber 42% betrachten auch den zweiten und/oder dritten Treffer.
Natürlich ist das Betrachten von drei Treffern auf einer Seite mit zehn weiterführenden Links und einem Haufen Anzeigen nicht viel, aber so macht es die Mehrheit. Wenn Sie glauben, dass schon der Anblick Ihres Eintrags Ihre Marke stützt, selbst wenn die Nutzer nicht darauf klicken, kann auch der zweite oder dritte Platz bei den grossen Suchmaschinen erfolgreich sein.
Es ist auch noch werbewirksam, wenn man weiter unten auf der ersten Suchergebnisseite auftaucht, da immerhin 12% der Nutzer bis ganz nach unten scrollen. (Nur 2% betrachten die Suchergebnisse auf Seite 2 und folgende, daher geht die Wirkung, die man erzielen kann - und erst recht die Zahl der Klicks - gegen Null, wenn Sie sich nicht auf der ersten Seite platzieren.)
Wie auch beim Lesen des Textkörpers, geht das Nutzerinteresse an den Suchergebnissen von oben nach unten rapide zurück: 18% der Nutzer betrachten den dritten weiterführenden Link, aber nur 8% schaffen es bis zum vierten. (Alle diese Zahlen geben an, ob die Augen der Nutzer auf den Link fixiert waren, aber nicht, ob sie auch geklickt haben; Klicks sind noch stärker auf den oberen Bereich einer Seite konzentriert.)
Gute IA, gutes Layout, gute Texte
Wie ich schon erwähnt habe, sind eine hilfreiche Informationsarchitektur (IA) und ein effizientes Seitenlayout die Schlüssel, um die Nutzer dazu zu bringen, Ihre Inhalte auch zu lesen. Allerdings deckten unsere Eyetracking-Daten noch ein drittes Element auf, das dazu beiträgt, aus Querlesern Leser zu machen: qualitativ hochwertige Texte.
Das ist, zugegen, keine Überraschung. Wir haben zwar 83 Richtlinien für Webinhalte (engl.) formuliert, aber letztlich kann man sie darauf eindampfen: Wenn Sie die Menschen zu Ihren Inhalten hingeführt haben, sollten diese auch gut sein.
Aber gute Webinhalte sind mehr als gute Prosa. Qualitativ hochwertige digitale Inhalte gehen über die Bedürfnisse eines Druckerzeugnisses hinaus; hier sind klare Überschriften und andere Elemente wichtig, die den Nutzern Zeit ersparen und sie während des Überfliegens zu den Informationen lenken, die sie wirklich lesen wollen.
© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.
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