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27.04.2002

Usability für Senioren

Das Internet stellt für viele Senioren eine Bereicherung ihres Alltags dar. Leider halten sich die meisten Webseiten nicht an Usability-Richtlinien und erschweren den Senioren somit deren Handhabung. Die Nutzung aktueller Webseiten ist für Senioren doppelt so schwer wie für Nicht-Senioren.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 28.04.2002

 

Senioren gehören zu den am schnellsten wachsenden Bevölkerungsgruppen im Web. Nach einer Schätzung sind allein in den Vereinigten Staaten 4,2 Millionen Internetnutzer älter als 65 Jahre. Tatsächlich stellen die Senioren in sämtlichen Industrieländern einen hohen Bevölkerungsanteil dar, und viele von ihnen verfügen über ein beträchtliches Vermögen.

Im Regelfall befinden sich Senioren zwar im Ruhestand, führen jedoch ein sehr aktives Leben und sind oft sehr an moderner Technologie wie dem Internet interessiert, da sie auf diese Weise kommunizieren können und auf dem Laufenden bleiben. E-Mail war die Internet-Anwendung, die in unserer Studie von den Senioren am häufigsten verwendet wurde. Unsere Teilnehmer nutzten das Web hauptsächlich für:

  • Recherche
  • Nachrichten
  • Verfolgung von Investitionsentwicklungen
  • Recherche für Arzneimittel und Krankheitsbilder
  • und, in geringerem Ausmasse, für Online-Banking und -Shopping

Unsere Studienteilnehmer nutzten das Web, um Lektüre und Recherchematerial für ihre vielseitigen Hobbys und Spezialinteressen zu finden, die von Ahnenforschung über Kochen und Kriegsstrategien bis hin zu Musikinstrumenten reichen. Insgesamt nimmt das Lesen über solche Hobbys einen grossen Anteil der Webnutzung für sich in Anspruch: Die Verschiedenartigkeit der auf ein Thema spezialisierten Webseiten ist dabei für Senioren genau so schwierig zu handhaben wie für andere Nutzer auch.

Untersuchung der Website-Nutzung durch Senioren

Um in Erfahrung zu bringen wie Senioren das Web nutzen, haben wir drei Usability-Testreihen durchgeführt:

  • Eine Mess-Studie mit drei Webseiten und einer webumfassenden Aufgabe für 20 Senioren und einer Kontrollgruppe von 20 Nutzern im Alter zwischen 21 und 55.
  • Eine qualitative Studie mit 20 Senioren aus den Vereinigten Staaten, die 10 US-amerikanische Webseiten nutzten.
  • Eine qualitative Studie mit vier Senioren in Japan, die vier japanische Sites nutzten (um die internationale Anwendbarkeit unserer Ergebnisse einzustufen).

Als "Senioren" bezeichnen wir Personen über 65. Die meisten unserer Test-Nutzer waren über 70, einige sogar 80 Jahre oder darüber, und mehrere Teilnehmer waren zwischen 65 und 69 Jahren.

Usability-Werte für Nicht-Senioren doppelt so hoch

In der quantitativen Studie baten wir Nutzer beider Gruppen um die Erfüllung derselben vier Aufgaben:

  • Tatsachenfeststellung
  • Kauf eines Artikels
  • Abfrage von Informationen
  • Vergleich und Gegenüberstellung

Folgende Tabelle zeigt die Messwerte von vier Usability-Attributen, die durchschnittlich aus diesen vier Aufgaben erzielt wurden:

Senioren
(65+ Jahre)
Kontrollgruppe
(21-55)
Erfolgsrate (Aufgabe korrekt abgeschlossen)52.9%78.2%
Für die Lösung aufgewandte Zeit (min:s)12:337:14
Fehler (Fehlerbehandlung pro Aufgabe)4.60.6
Subjektive Einschätzung (Skala: 1=niedrig, 7=hoch)3.74.6
Gesamt-Usability (genormtes geometr. Mittel)100%222%


Die Unterschiede zwischen den Senioren und der Kontrollgruppe sind äusserst aussagekräftig. Werden die Usability-Werte so genormt, dass die von den Senioren erreichte Punktzahl als Grundwert von 100% festgelegt wird, entfällt auf die Nicht-Senioren in allen Fällen eine Gesamt-Usability von 222%. (Durchschnittswert als geometrisches Mittel gerechnet). Das heisst, dass die Gesamt-Usability bei den Nicht-Senioren etwas mehr als doppelt so gut war als bei den Senioren.

Warum ist die Usability bei Senioren schlechter?

Webseiten werden eher von jüngeren Designern erstellt, die häufig davon ausgehen, dass alle Nutzer über gute Augen und eine gute Motorik verfügen und alles über das Web wissen. Diese Annahmen treffen in der Wirklichkeit kaum zu, nicht einmal dann, wenn es sich bei den Nutzern nicht um Senioren handelt. Wie unsere Usability-Werte zeigen, sind Senioren jedoch stärker von Usability-Problemen betroffen als jüngere Nutzer. Die vom menschlichen Alterungsprozess beeinträchtigten körperlichen Fähigkeiten sind zum Beispiel das Sehvermögen, die Präzision der Motorik und die Gedächtnisleistung.

Ausserdem sind viele Senioren in den Ruhestand getreten, ohne sich in ihrem Arbeitsleben je näher mit dem Computer oder dem Internet befasst zu haben. Infolgedessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie ein gutes konzeptionelles Modell für die Funktionsweise dieser Technologien verinnerlicht haben, was ihnen das Verständnis der Eigenheiten noch erschwert. Wir haben beispielsweise bei mehreren Nutzern beobachtet, dass diese nicht klar zwischen dem Suchfenster einer Website und dem URL-Fenster des Browsers unterscheiden konnten.

Schliesslich handelt es sich ja bei beiden um Eingabefelder, in die man Eingaben eintippt, um woandershin zu gelangen. Der Mangel an Erfahrung mit guten konzeptionellen Modellen ist jedoch kein Grundbestandteil der menschlichen Biologie und wird möglicherweise nicht mehr vorhanden sein, wenn die derzeitige erwerbstätige Bevölkerung ihren Ruhestand antritt.

Unsere Untersuchung brachte in vielen Fällen mangelhaftes Design zu Tage, was dazu beitrug, dass das Web für Senioren mehr als doppelt so schwer zu nutzen ist. Eine Berücksichtigung der Design-Richtlinien für Senioren würde viele dieser Usability-Probleme lösen. Und selbst wenn die Web-Usability für jüngere Nutzer immer noch etwas höher wäre, würden die Unterschiede doch drastisch vermindert.

Lesbarkeit und Anklickbarkeit

Die bekannteste Regel zur Unterstützung der Web-Nutzung durch Senioren besteht in der Verwendung grösserer Schriftsätze als den von jungen Nutzern bevorzugten. Diese Regel mag zwar allgemein bekannt sein und wurde auch in unserer Studie bestätigt, wird jedoch noch von vielen Websites missachtet, die ihre Texte nach wie vor in einer festgelegten, winzigen Schriftgrösse präsentieren.

Webseiten, die Senioren ansprechen, sollten mindestens Schriftgrad 12 als Standard verwenden. Und alle Seiten, auch diejenigen, die sich nicht an Senioren richten, sollten dem Nutzer die Möglichkeit bieten, die Schriftgrösse nach Belieben zu vergrössern, ganz besonders dann, wenn auf der Site ein kleiner Schriftgrad als Standard festgelegt worden ist.

Für Hypertext-Links ist eine grosse Schrift aus zwei wesentlichen Gründen besonders wichtig:

  1. Um die Lesbarkeit dieser wesentlichen Designkomponenten zu gewährleisten und
  2. um diese besser als "anklickbar" hervorzuheben.

Aufeinander folgende Links, die nicht durch weissen Leerraum voneinander getrennt sind, sollten vermieden werden. Auf diese Art werden Fehlklicks vermindert und der Nutzer findet den richtigen Link deutlich schneller. Diese Regel gilt auch für Befehlsschaltflächen und andere interaktive Objekte, die alle gross genug sein müssen, um leicht anklickbar zu sein.

Pull-Down-Menüs, hierarchische "Walking-Menüs" und andere bewegliche Schnittstellenelemente stellen für Senioren, die mit der Maus nicht immer treffsicher sind, ein Problem dar. Es empfiehlt sich daher, statische Nutzerschnittstellen­elemente und Designs zu verwenden, die kein pixelgenaues Zielen mit dem Mauszeiger erfordern.

Unterstützendes und "fehlertolerantes" Design

Wenn Webseiten die Richtlinie nicht einhalten, durch die Verwendung verschiedener Farben zwischen besuchten und noch nicht besuchten Links klar zu unterscheiden, verlieren Senioren schnell die Orientierung und wissen nicht mehr, wo sie schon gewesen sind. Dieses Problem war zweifellos bei allen Altersgruppen zu beobachten: Es ist verwirrend, wenn Webseiten die standardmässigen Link-Farben ändern und besonders verwirrend, wenn für alle Links dieselbe Farbe verwendet wird, unabhängig davon, ob die Zielseite bereits besucht wurde oder nicht. Senioren fällt es jedoch schwerer, sich daran zu erinnern, welche Bereiche einer Website sie bereits besucht haben, so dass sie öfter Zeit damit verlieren, immer wieder zur selben Stelle zurückzukehren.

Senioren fällt es auch schwerer, Suchmaschinen und Formulare zu nutzen, die nicht fehlertolerant sind. So kam es vor, dass unsere Test-Nutzer nicht mehr weiterkamen, da sie Bindestriche in ihre Suchabfragen eingaben oder "bestraft" wurden, weil sie Bindestriche oder Klammern in Telefon- oder Kreditkartennummern verwendeten.

Fehlermeldungen waren oft schwer lesbar, entweder, weil die Formulierungen völlig unklar oder ungenau waren oder weil die Platzierung der Meldung auf der Seite zwischen einer Vielzahl anderer Designelemente leicht übersehen wurde. Schlichtes Design ist sogar noch wichtiger als dies ohnehin der Fall ist, wenn Senioren mit Fehlermeldungen umgehen müssen: die Meldung muss sich auf den Fehler beziehen, diesen unmissverständlich erklären und dessen Behebung so einfach wie möglich machen. Website-Aufgaben sollten sich ebenfalls möglichst an Senioren und deren bevorzugte Art, Dinge zu erledigen, anpassen. Hat man Telefonnummern jahrzehntelang in ein und derselben Art geschrieben, empfindet man es als sehr unangenehm, wenn ein Formular eine andere Schreibweise erzwingt.

Usability erhöht Zufriedenheit

Senioren bevorzugen ganz besonders die Webseiten, die für sie am einfachsten zu nutzen sind. Zwischen dem Punkteergebnis für unsere Testaufgaben und der darauf folgenden subjektiven Bewertung durch die Nutzer der Sites bestand eine sehr starke Wechselbeziehung: r = 0,78. Dieses Ergebnis ist höher als das anderer Untersuchungen, jedoch nicht ganz so hoch wie in unserer entsprechenden Untersuchung von Nutzern mit Behinderungen.

Usability für Senioren ist wichtig, und zwar nicht nur, damit sie als Aufgabe einen einmaligen Kauf erledigen können. Durch eine verbesserte Usability für Senioren können Sie deren Zufriedenheit steigern und somit eine Grundlage für eine dauerhafte Beziehung schaffen.

Intranets sollten auch auf Senioren ausgerichtet sein. Die meisten Unternehmen beschäftigen Angestellte von über 60 Jahren, und viele Grossunternehmen verfügen über spezielle Extranets für Pensionäre, die Online-Informationen zu Rentenangelegenheiten bereitstellen und den Kontakt der Firma zu früheren Angestellten fördern.

Neben den geschäftlichen Vorteilen haben wir alle auch ein sehr persönliches Interesse an einer verbesserten Usability für Senioren: Es ist die Nutzerkategorie, zu der wir alle eines Tages gehören werden. Sofern das Internet für Senioren funktioniert, ist es bereits heute eine Bereicherung für viele Senioren. Webseiten können jedoch viel leichter zugänglich werden, wenn die einfachen, in unserem neuen Bericht aufgeführten Designrichtlinien angewandt werden. Wenn man diese Richtlinien von Anfang an berücksichtigt, wird deren Implementierung kaum Zusatzkosten im Rahmen eines Web-Design- oder Intranet-Projekts verursachen. Zudem kommen viele der Richtlinien zur Verbesserung der Usability für Senioren auch anderen Nutzern zugute.

Wollen Sie mehr darüber erfahren?

Unser 125 Seiten langer Bericht zur Studie enthält 46 Design-Richtlinien für die Verbesserung der Web-Usability für Senioren steht zum Download bereit.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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